27.10.2023
Fast ein Märchen
Es war einmal vor langer Zeit, also solange ist es nun auch wieder nicht, da versagte das Stundenschlagwerk der Kirche Lerchenfeld seinen Dienst. Der damalige Rat entschied, das mechanische Uhr- und Schlagwerk mit einem Elektrischen zu ersetzen. Nach meiner Nachfrage, was mit dem alten Uhrwerk geschehen soll, wurde mir mitgeteilt: Die Uhr kann entsorgt werden. Als langjähriger Uhrensammler brach es mir fast das Herz. Das wollte ich nicht zulassen, hat man doch in früheren Zeiten, wenn ein Uhrwerk ausgewechselt wurde, das Alte kurzerhand aus dem Turm geworfen. Nach kurzer Verhandlung mit dem Kirchgemeinderat wurde mir das Uhrwerk mit allem Drum und Dran kostenlos überlassen, musste es aber selbständig aus dem Turm holen. Mit meinem Nachbarn demontierten wir die Schlagwerke und die Uhr und seilten die zerlegten Teile mit einem Flaschenzug aus dem Turm.
Nachdem wir die verschiedenen Teile vorerst im Keller meines Hauses deponiert hatten, wollte ich vor allem das Uhrwerk im Haus installieren. Doch musste ich zur Einsicht kommen, dass dieses Projekt für ein Einfamilienhaus einfach zu mächtig war. Und so fiel die Uhr wie Dornröschen damals in einen tiefen Schlaf, nicht hundert Jahre, aber doch 25.
Nachdem meine Tochter mit Familie das Haus vor über 10 Jahren übernommen hatte, fragte sie mich vor ein paar Monaten, was mit den Uhrbestandteilen, die immer noch im Keller schliefen, geschehen soll? Sie würde den Schlafplatz der Uhr gerne für etwas Anderes brauchen. Spontan und schweren Herzens entschied ich mich zum – ENTSORGEN.
Doch in der folgenden Nacht liess mir der Entscheid keine Ruhe, oder war es vielleicht eine der zwölf guten Feen aus dem Märchen, die mir etwas zuflüsterte? Wie dem auch sei, jedenfalls wollte ich die Uhr retten. Ob es mir auch gelingen wird? Die Uhr mit einem Kuss wieder zum Ticken zu bringen und wie Dornröschen aus dem Schlaf zu erwecken, das funktionierte definitiv nicht. Bin ja auch kein Prinz.
So transportierten wir alles, was das Uhrwerk betraf, auf meine Terrasse an meinem neuen Wohnort, liess vorerst ein provisorisches Traggestell aus Holz erstellen und fing an, das Räderwerk vom 25jährigen Staub und Dreck zu reinigen. Anschliessend, nach dem Umzug ins Werkstattzimmer, begann ich mit dem polieren der Messing-Zahnräder bis sie wieder glänzten. Auch die Ketten mussten entwirrt und richtig montiert werden. Schlussendlich wurden noch das schwere Pendel und das Bleigewicht provisorisch eingesetzt. Und siehe da, die Uhr erwachte nach 25 Jahren und tickte wieder. Ein metallbaukundiger Freund fertigte einige notwendige Abänderungen und ein Traggestell aus Metall, so dass die Uhr in fast königlichem Gewand dastand.
Jetzt war es ein Leichtes, den jetzigen Kirchgemeinderat und die Pfarrerin zu begeistern, die Uhr als Schaustück in den Räumlichkeiten der Kirche zukünftig den Besuchern zu präsentieren.
So wurde die Uhr während des Gottesdienstes zum Thema „Zyt isch da“ am 20. August 2023 der Kirchgemeinde feierlich übergeben. Das Uhrwerk ist in seine ehemalige Umgebung zurückgekehrt und wieder zu Hause angekommen – also fast ein Märchen.
Heinz von Känel